New York – Mehr als 40 Jahre Berufserfahrung, fast 60 Rollen und einen Grammy: Waltraud Meier gilt als eine der bedeutendsten Opernsängerinnen der Welt. Zur Zeit tritt die Mezzosopranistin an der New Yorker Metropolitan Opera auf, wo sie die Rolle der griechischen Königin Klytämnestra in Richard Strauss' "Elektra" singt. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt die gebürtige Würzburgerin von Lampenfieber, den Veränderungen in der Opernszene und ihren Zukunftsplänen.
Frage: Ihre Karriere begann schon früh. War der Weg steinig?
Antwort: "Die ersten Jahre gingen unheimlich schnell vorbei. Man sagt kometenhaft. Doch ich habe mich eigentlich gar nicht dazu entschieden. Nach dem Abitur habe ich Englisch und Französisch studiert und wollte Gymnasiallehrerin werden. Ich habe schon in meiner Jugend in Chören gesungen und Gesangsunterricht genommen. Aber das war privat, ohne ein professionelles Ziel. Als ich 20 Jahre alt war, fragte mein Gesangslehrer, der Co-Direktor am Würzburger Stadttheater war, ob ich dort vorsingen möchte, und ich wurde sofort engagiert. Es hat mir sehr gefallen und ich hatte Erfolg, also war mein Weg klar."
Frage: Haben Sie bis heute Lampenfieber, wenn sich der Vorhang hebt?
Antwort: "Lampenfieber hat für mich kein Gesetz. Es kann sein, dass ich bei etwas, wo die ganze Welt draufschaut, vollkommen entspannt und nicht aufgeregt bin. Doch bei manchen Vorstellungen bin ich sehr aufgeregt. Das weiß ich vorher nie. Aber ich kann inzwischen deutlich besser damit umgehen. Es blockiert mich nicht mehr. Ich hatte früher durchaus Zeiten, wo ich schwer mit Lampenfieber gekämpft habe."
Frage: Was fasziniert Sie an der Rolle der Klytämnestra?
Antwort: "Es gab jahrzehntelang eine Aufführungstradition. Man hat sie bislang sehr grotesk und wie ein gewalttätiges Mörderweib dargestellt. Ich versuche, ihr die Würde und Menschlichkeit zurückzugeben, auch wenn sie einen Mord begangen hat. Ich zeige, dass sie auch eine Mutter ist und dass Agamemnon ihr Schlimmes angetan hat. Man weiß, aus vielen Opfern werden Täter. Man wird nicht Täter aus einem Nichts."
Frage: Wie geht man mit Patzern auf der Bühne um?
Antwort: "Durch die Proben, wo man permanent mitten im Satz unterbrochen wird, weil etwas wiederholt werden muss, sind wir es gewohnt, sofort wieder einzusteigen. Ich habe die Met einmal fast in Flammen gesetzt, aber da kam gottseidank noch beherzt ein Bühnenmeister und griff ein. Ich hatte eine Fackel in 'Tristan und Isolde' und habe sie falsch geworfen. Ich bin auch einmal in einem Liederabend in Bayreuth in eine falsche Strophe gekommen. Das wurde immer kakophonischer. Da habe ich dann unterbrochen und gesagt: 'Jetzt fang' ich nochmal an'. Die Leute haben alle gelacht und ich auch. Man ist menschlich und das Publikum honoriert das auch als menschliche Dinge, die passieren können."
Frage: Sehnen Sie sich bei dem ständigen Reisen nach Beständigkeit?
Antwort: "Da geht es mir so wie allen Menschen. Manchmal denke ich mir: 'Muss ich wieder fortfahren, obwohl ich lange weg war?' Aber wenn ich längere Zeit zuhause in München war, dann kribbelt es schon und ich will wieder los. Es lebt in mir die Sehnsucht nach Beständigkeit und die Sehnsucht nach Herausforderung. Wie mit allem im Leben ist es gut, wenn eine gesunde Balance herrscht."
Frage: Hat sich die Opernszene in den letzten Jahrzehnten verändert?
Antwort: "Vor allem die mediale Vermarktung ist gestiegen, sowie dass man vorher anpreist. Mich stört sehr, wenn es heißt, dass man fantastisch in einer Rolle ist. Man lässt dem Zuschauer so wenig Möglichkeit, unvoreingenommen etwas anzuschauen. Alles wird schon vorgewertet. Mich wundert es manchmal, dass viel mehr Wert aufs Aussehen gelegt wird. Glaubhaftigkeit auf der Bühne ist mir wichtig. Nicht nach dem Motto: 'Ist er schön und schlank?', sondern 'Kann er etwas glaubhaft darstellen und kann er es auch singen?' Früher hat man gedacht, man muss füllig sein, um gut zu singen. Das ist ein Riesen-Blödsinn. Wenn man fit ist, dann hat man Kraft."
Frage: Gibt es Rollen, die Sie gerne noch singen möchten?
Antwort: "Ich bin jetzt 40 Jahre auf der Opernbühne. Ich habe alles gesungen, was ich singen wollte und habe mit allen Dirigenten, mit denen ich singen wollte, gearbeitet. Insofern bin ich ein unfassbar glücklicher Mensch und fühle mich sehr erfüllt. Wenn die Oper jetzt etwas weniger wird, möchte ich mehr auf Liederabende achten. Ich singe Liederabende wahnsinnig gern, und sie haben mir über die Jahre geholfen, meine Stimme zu bewahren. Und sonst gibt es ein Leben nach der Oper: einfach leben, spazieren gehen, Leute besuchen, reisen, in Konzerte gehen. Vieles ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen."
(Die Fragen stellte Stephanie Ott, dpa)
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