Fast jeder Klavierschüler ist einmal mit den Sonatinen von Friedrich Kuhlau (1786 – 1832) in Berührung gekommen. Daneben brachte Kuhlau sein umfangreiches Werk für Flöten den Beinamen "Beethoven der Flöte" ein. Dieser Titel beschränkt ihn zwar auf ein Instrument, deutet aber auf die Qualität seiner Kompositionen hin. Dass Friedrich Kuhlau weit mehr als Sonatinen und Flötenmusik geschrieben hat, wird jetzt erst allmählich wieder entdeckt. Einen Anteil daran kann die Biographie "Friedrich Kuhlau – Ein deutscher Musiker in Kopenhagen" von Jörgen Erichsen haben, die kürzlich im Olms Verlag erschienen ist.
Der dänische Musikwissenschaftler legt damit die erst zweite Biographie des Komponisten vor, die erste hatte 1886 sein Landsmann Carl Thrane veröffentlicht. Das verwundert auch insofern, als Kuhlau in nur 45 Lebensjahren rund 550 Werke geschrieben hat. Noch erstaunlicher ist es, wenn man Kuhlaus ereignisreiches Leben tatsächlich nachliest. Doch selbst Erichsens Manuskript, das schon 1975 druckreif war, musste bis jetzt auf seine Veröffentlichung warten. Der Autor erklärt diese Verzögerung mit dem schwierigen und relativ kleinen Buchmarkt in Dänemark. Deshalb ist seine Kuhlau-Biographie nun auch zuerst in Deutschland erschienen. Für diese Veröffentlichung hat Erichsen zwischenzeitliche neue Erkenntnisse eingearbeitet. Vor allem hat er das Buch aber nicht einfach übersetzen lassen, sondern dänische Gegebenheiten für die deutschen Leser ausführlicher erläutert.
Erichsen hat diese Kuhlau-Biographie auf wissenschaftlicher Grundlage erarbeitet. Seine Recherchen in den unterschiedlichsten Quellen sind beeindruckend umfangreich und detailliert. Wenn er beispielsweise über Kuhlaus Unfall berichtet (mit neun Jahren hatte dieser eine Flaschenscherbe ins rechte Auge bekommen, welches er dadurch verlor) kann Erichsen nicht weniger als fünf verschiedene Angaben über den Inhalt der Flasche anführen. Dennoch gelingt es dem Autor, mit lebendiger und spannender Erzählweise eine breite Leserschaft anzusprechen.
Um den jungen Kuhlau von den Schmerzen des Unfalls abzulenken, hatten ihm seine Eltern ein kleines Klavier über das Bett gestellt. Das Kind erwies sich als kompositorisches Naturtalent. Sein erstes Honorar war eine große Tüte Rosinen und Mandeln. Erst mit etwa 20 Jahren nahm er überhaupt Unterricht in Musiktheorie. Während der Napoleonischen Kriege floh Kuhlau aus Hamburg nach Dänemark. Fast sein ganzes Leben lang steckte er in finanziellen Schwierigkeiten, was ihn immer wieder den Spruch "Kunst geht nach Brot" zitieren ließ. Ausführlich und aufschlussreich beschreibt Erichsen Kuhlaus Verhandlungen um Kompositionen und Honorare.
Manches Unglück ist dem Komponisten widerfahren, tragikomische Ereignisse passieren immer wieder. Trotzdem hat Kuhlau nie seinen Humor verloren. Das belegen zahlreiche Anekdoten, die Erichsen zitiert. Der Autor zeichnet ein facettenreiches Bild der Persönlichkeit Friedrich Kuhlaus. Darüber hinaus liefert er interessante Einblicke in das gesellschaftliche und vor allem das Musikleben der damaligen Zeit. Dadurch erklärt sich beispielweise, weshalb von Kuhlau so viel Flötenmusik überliefert ist oder warum die Stücke meist vier (oder ein Mehrfaches von vier) Seiten umfassten. Und das eine oder andere Problem erscheint einem heute erstaunlich vertraut, etwa wenn es um die Verluste der Verleger durch Raubdrucke geht.
Zwei Jahre vor seinem Tod begannen sich Kuhlaus Fleiß und Zielstrebigkeit endlich auszuzahlen, mit Beförderung und besserer Bezahlung. Doch in dem Moment folgte ein Schicksalsschlag auf den nächsten. Unter anderem brannte Kuhlaus Haus nieder. Dabei gingen zahlreiche unveröffentlichte Kompositionen verloren, die er für seine Alterssicherung aufbewahrt hatte. Der Biograph fragt zu recht: "Wie weit er es hätte bringen können, wäre das Schicksal ihm günstiger gestimmt gewesen."
Jörgen Erichsens Buch ist leicht, aber ungemein spannend zu lesen. Der Musikwissenschaftler beschreibt sehr detailliert, behält aber immer das Ganze im Blick – den Menschen Friedrich Kuhlau. Das Buch ist sorgfältig hergestellt und hochwertig gebunden. Angesichts der inhaltlichen Qualität – die Biographie wird wohl ein Standardwerk werden – wären es jedoch wünschenswert gewesen, den Band darüber hinaus mit Schutzumschlag und farbigen Abbildungen auszustatten.
(wa)
Jörgen Erichsen: Friedrich Kuhlau – Ein deutscher Musiker in Kopenhagen"
Georg Olms Verlag AG, Hildesheim 2011
416 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
Gebunden
ISBN: 978-3-487-14541-9
39,80 €