Salzburg – Einmal ernst, einmal heiter, einmal ernst… Nach diesem Strickmuster gestaltet Cecilia Bartoli, die große Sopranistin und künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele, ihr kleines, aber feines Festival. Nach Bellinis düsterer "Norma" gab es 2014 eine entzückende "Cenerentola" von Rossini. Und dieses Jahr wurden die Pfingstfestspiele mit einer umjubelten Neuproduktion von Christoph Willibald Glucks blutrünstiger Oper "Iphigénie en Tauride" eröffnet. Natürlich mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle.
Die italienische Diva ist ein Phänomen. In allen Genres scheint die 48-Jährige gleich gut zurechtzukommen. Mit ihren immer noch ziemlich makellosen Koloraturen konnte sie in Glucks "Iphigénie" nicht glänzen, weil der Komponist (1714-1787) in seinen späten "Reformopern" den Sängern keine Bühne für eitle Stimmakrobatik mehr gab. Gluck ist einer der großen Meister der Oper am Übergang vom Barock zur Klassik. "Iphigénie en Tauride" wurde 1779 in Paris uraufgeführt und ein ungeheurer Erfolg.
Die Arien und Rezitative der Iphigénie sind tiefgründige Charakterstudien einer seelisch zerrissenen Frau, die gegen ihren Willen töten muss und um ein Haar auch ihren Bruder gemeuchelt hätte. Und genau dies spürte man bei Bartoli, die mit abgeschnittenen Haaren und zusammengewürfelten Klamotten wie eine Gefangene aus einem Straflager daherkommt, in jedem Augenblick.
Das französische Regieduo Moshe Leiser/Patrice Caurier hatte die mythologische Handlung in die kriegerische Gegenwart verlegt, in einen abgetakelten Flugzeughangar mit verrostetem Tor und kaltem Neonlicht. Eine paramilitärische Soldateska, man denkt an ukrainische Separatisten oder Kämpfer des "Islamischen Staats", erniedrigt und foltert ihre Feinde, unterdrückt die Frauen und zwingt sie sogar, den Henkerdienst zu verrichten. Mit der Gefangennahme ihres Bruder Oreste, den sie zunächst nicht erkennt, und dessen Gefährten Pylade eskaliert das Seelendrama der Iphigénie.
Christopher Maltman als Oreste, der fabelhafte britische Bariton, ist Bartoli ein ebenbürtiger Partner. Der alles in allem etwas braven und statischen Regie verhilft er zu einem unverhofften Höhepunkt, als er sich für die rituelle Waschung vor der geplanten Hinrichtung durch Iphigénie sämtlicher Kleider entledigt und splitternackt, die Hand schützend vor dem Gemächt, auf dem "Altar", einer weißen Plastikplane, niederkniet. Als Maltman seinen durchtrainierten Körper präsentiert, geht ein Raunen durchs Publikum.
Auch der mächtig auftrumpfende österreichische Bariton Michael Kraus als Thoas, mehr Warlord als "König", und der finnische Tenor Topi Lehtipuu als eher zarter Pylade liefern große, dramatisch aufgeladene Gesangs- und Schauspielkunst. Im Orchestergraben treibt Diego Fasolis das Originalklangensemble "I Barocchisti" und den Coro della Radiotelevisione Svizzera mit ausladenden Gesten zu Höchstleistungen an, was die melodiöse Sprödheit von Glucks Musik vergessen lässt.
Riesenjubel am Schluss, durchsetzt mit ein paar Buhs für das Regieteam. Nächstes Jahr gibt’s dann wieder etwas Heiteres: Leonard Bernsteins geniale "West Side Story". Ein Musical bei den Salzburger Festspielen? Cecilia Bartoli als Musicalstar und im Orchestergraben der südamerikanische Feuerkopf Gustavo Dudamel mit seinem famosen Simón Bolivar-Orchestra. Wenn das kein Knüller ist.
(Von Georg Etscheit, dpa)
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Salzburger Pfingstfestspiele: Bartoli debütiert als Iphigénie (22.05.2015 – 08:25 Uhr)
Link:
http://www.salzburgerfestspiele.at
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