Wiesbaden – Die aus Russland stammende Pianistin und Komponistin Lera Auerbach sorgt sich um die kulturelle Entwicklung in ihrer alten Heimat. Russland gehe derzeit einen Weg der Selbstisolation. "Das ist sehr gefährlich, und es ist nicht neu", sagte Auerbach der Deutschen Presse-Agentur in Johannisberg im Rheingau. "Es werden Ideen vertreten, die vielen zunächst attraktiv erscheinen, aber sehr zerstörerisch sind – zum Beispiel Nationalismus oder eine obsessive Religiosität."
Die seit 1992 in den USA lebende Künstlerin gastiert in diesem Sommer mit mehreren Konzerten beim Rheingau-Musik-Festival. Für die russische Gesellschaft wäre es wichtig, sich ihrer schwierigen und oft tragischen Geschichte zu stellen, sagte sie. "Die Repressionen haben nicht mit Stalin begonnen, und sie enden nicht mit ihm."
Auerbach (41), die in Tscheljabinsk im Ural geboren wurde, hat schon viel in Deutschland gearbeitet. Für den Choreographen John Neumeier in Hamburg hat sie die Ballettmusiken "Die kleine Meerjungfrau" und "Tatjana" geschrieben. Zur Erinnerung an die Zerstörung Dresdens schuf sie ein "Requiem", das 2012 in der Frauenkirche uraufgeführt wurde. Derzeit arbeitet Auerbach an einem Klavierkonzert, das sie im November mit den Stuttgarter Philharmonikern unter Leitung von Dan Ettinger uraufführen wird.
Die Aufnahme ihres Schaffens in Russland sei unterschiedlich, sagte sie. Zunächst sei sie als Lyrikerin bekanntgeworden, nicht als Musikerin. "Im Ausland gelte ich als russische Komponistin, in Russland eher nicht." Das Moskauer Stanislawski-Theater hat ihre Ballettmusiken auf die Bühne gebracht. Zuletzt spielte der Geiger Vadim Repin ihr 3. Violinkonzert in Nowosibirsk. Auerbachs "Requiem für Russland" (2006) mit Dichterworten von Gawriil Derschawin über Anna Achmatowa bis zu zeitgenössischen Poeten ist dagegen noch nie in dem Land aufgeführt worden, für das es bestimmt ist.
Kunst müsse frei von Furcht sein, sagt Auerbach, die nicht nur als Musikerin, sondern auch als Schriftstellerin, Malerin und Bildhauerin arbeitet. "Wir sind alle menschlich, wir haben unsere Unsicherheiten, Grenzen, Sorgen, das Bedürfnis, gemocht und anerkannt zu werden. Aber all das steht einem kreativen Prozess im Weg." Um wahre Kunst zu schaffen, müsse man sich von diesen Beschränkungen frei machen.
(Von Friedemann Kohler, dpa)
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