Hamburg – Der neue Generalmusikdirektor der Hamburger Staatsoper, Kent Nagano, hat mit Hector Berlioz' Oper "Les Troyens" am Samstag seinen umjubelten Einstand gegeben. Der 63-Jährige führte das Orchester am Abend eines exemplarischen Neubeginns – nach der zehnjährigen Amtszeit von Simone Young als Generalmusikdirektorin – zu Hochform und traf beeindruckend den Berlioz-Ton. Mit so weichem, geschmeidigem und doch stets vitalem Klang meint man die Philharmoniker lange nicht gehört zu haben.
Berlioz' "Trojaner" sind ein gefürchteter Opern-Koloss. Über fünf Stunden streckt sich das mythenschwere Drama um den Untergang Trojas und die unheilvolle Liebe der Karthager-Königin Dido zu Äneas, der in göttlichem Auftrag Rom gründen soll. Nichts für "Fastfood-Fans" also. Es war ein Glücksfall, dass Nagano geschickt auf Straffung des von ausschweifenden Märschen und Balletten gesättigten Fünfakters "Les Troyens" bestand.
Fast dreieinhalb Stunden purer Hector Berlioz blieben dennoch. Dabei hätte Regisseur Michael Thalheimer, berühmt-berüchtigter Meister der radikalen Verknappung, das gewaltige Werk offenbar gern auf gut zwei Stunden gestaucht. Nagano aber – mit seinem Faible für die französische Musik – wollte anderes, wollte mehr. Er vertraute ganz auf die frappierenden Schönheiten der Musik von Berlioz und seine eigene dirigentische Überzeugungskunst.
Auch die Szene war eindrucksvoll. Olaf Altmann hatte für diesen Neustart, der Hamburgs Opernhaus wieder verstärkt ins internationale Blickfeld rücken soll, ein grandios reduziertes Bühnenbild gebaut. Einen quasi leeren Raum, der – für Troja wie für Karthago – aus nichts anderem als zwei monumentalen Seitenwänden und einer steilen Rückwand bestand, die sich je nach dramatischer Lage schräg nach oben oder unten kippen ließ. Mal Fluchtburg, mal Zwinger, mal Liebeshöhle, mal Opferstätte.
Es war die ideale Plattform für Thalheimer, der Trojas Untergang mit wuchtigen Chor-Aktionen vorantrieb. Wie aus Kübeln geschüttet, rann dazu rotes Theaterblut auf die fliehenden Trojaner. Das wüste Blutbad sollte wohl die aktuellen Flüchtlingstragödien spiegeln. Auch schlammbedeckte Sklaven wankten zu diesem Zweck über die Bühne.
Subtileres hatte Thalheimer dagegen für seine Heldinnen Kassandra und Dido ersonnen. In einer spannungsvollen Choreographie der extremen Isolation ließ er sie als große Schmerzensfrauen zugrundegehen. Catherine Naglestad (Kassandra) und Elena Zhidkova (Dido) gaben den beiden denn auch bezwingende Ausdruckskraft. Vor allem die bravouröse Zhidkova wurde groß gefeiert, ebenso der prachtvolle Staatsopern-Chor.
So wurde die Premiere auch zu einem gelungenen Einstand für den neuen Opernintendanten Georges Delnon. Als Willkommensgruß ließ die neue Intendanz die Oper auf eine schwimmende Leinwand an der Binnenalster übertragen. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sagte nach der Premiere: "Georges Delnon und Kent Nagano werden die lange und bedeutende Opern- und Konzerttradition Hamburgs neu interpretieren." Der Beginn dieser neuen Ära passe "hervorragend zu der künstlerischen Aufbruchstimmung, die wir im Januar 2017 mit der Eröffnung der Elbphilharmonie noch befördern werden".
(Von Barbara Sell, dpa/MH)
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