"Für immer ganz oben": Feuchtwarmes Musiktheater

02. Juni 2016 - 11:57 Uhr

München – Die Macher der Münchener Biennale für neues Musiktheater scheinen ein Faible für die Tropen zu haben. Vor ein paar Jahren brachte der frühere Biennale-Chef Peter Ruzicka eine Amazonas-Oper heraus und ließ dafür einen Urwald nachbauen, in dem Künstler und Publikum kreativ herumgeistern konnten. Zur Eröffnung der diesjährigen Biennale, erstmals unter Leitung des Komponistenduos Daniel Ott und Manos Tsangaris, gab es eine Opern-Adaption von Werner Herzogs filmischem Urwald-Epos "Fitzcarraldo".

"Für immer ganz oben"

"Für immer ganz oben"

Die jüngste Neuproduktion der Biennale fand am Mittwochabend zumindest unter tropischen Verhältnissen statt: bei 33 Grad Lufttemperatur und 70 Prozent Luftfeuchtigkeit in der Kleinen Schwimmhalle des Müllerschen Volksbades, einem Jugendstil-Juwel nahe dem Deutschen Museum. Eine zumindest klimatische Herausforderung für das Publikum, das sich im Gegensatz zu den Künstlern nicht seiner Kleider entledigen konnte.

Dass die Biennale mit der Uraufführung der Musikperformance "Für immer ganz oben" von Brigitta Muntendorf ins Hallenbad zog, hatte natürlich einen künstlerischen Hintergrund. Die Erzählung des US-Schriftstellers David Foster Wallace, die dem 55-minütigen Stück zugrunde liegt, beginnt nämlich in einem Schwimmbad. Über 14 Seiten wird erzählt, wie sich ein Dreizehnjähriger bereit macht, von einem Sprungbrett zu springen. Dabei geht es weniger um eine sportliche Herausforderung, als die Gefühlswelt eines Jungen in der Pubertät, der irgendwann den "großen Sprung" in die Welt der Erwachsenen wagen muss.

Einen linearen Erzählstrang gab es nicht, sondern die übliche Collage aus zum Teil längeren Textfragmenten, die von zwei Schauspielern gesprochen wurden. Die musikalische Hauptrolle oblag den Solisten des Münchner Knabenchors unter Ralf Ludewig, der vom Beckenrand in Shorts und Sneakers auch die Instrumentalisten koordinierte: Keyboard, E-Gitarre, Percussion und ein Solo-Cello. Außerdem gab es einen Gong, der nach dem Anschlagen ins Wasser getaucht wurde, um den Klang abzudämpfen. Die Musik klang zuweilen wie ein Verschnitt aus Kirchenchoral und Rocksound, was unter anderem auf die sehr hallige Akustik zurückzuführen war.

Die Inszenierung von Abdullah Kenan Karaca, Hausregisseur am Münchner Volkstheater und künftiger zweiter Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele, versuchte, auf unterschiedliche Weise mit dem Medium Wasser zu spielen, das unschwer als Methapher für die in der Pubertät erwachende Sexualität gedeutet werden kann. Die Protagonisten – die beiden Knabensoprane Joel Beer und Levi Wegmann teilten sich die Rolle des Dreizehnjährigen – agierten mal vom Beckenrand aus, mal von einem auf dem Wasser treibenden Floß oder skandierten ihre Texte schwimmend aus dem Becken. Doch die Choreographie mit den sonst als Schwimmhilfe dienenden Schaumstoffwürsten wirkte etwas hölzern, was auch an den theatralisch wenig erfahrenen Knaben gelegen haben mochte.

Manchmal konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man gerade der ambitionierten Produktion eines Musik-Leistungskurses beiwohnte. Nationales oder gar internationales Format, das die von Großmeister Hans Werner Henze gegründete Biennale ja immer noch beansprucht, hatte das feuchte Spektakel nicht.

(Von Georg Etscheit, dpa/MH)

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