Berlin (MH) – Mit Blitz und Knall kommt Mephisto auf die Bühne. Sein erster Auftritt soll bereits auf die finale Katastrophe hindeuten. In Terry Gilliams missglückter Inszenierung von Hector Berlioz' dramatischer Legende "La damnation de Faust" verkörpert der Teufel das Böse, das nicht nur den Protagonisten, sondern ganz Deutschland in den Abgrund ziehen wird. Braunhemden, Swastika-Symbole und zum Hitlergruß ausgestreckte Arme sind bei der Premiere an der Berliner Staatsoper im Schiller Theater überpräsent. Gerettet wurde die Aufführung am Samstag allein durch die großartige musikalische Umsetzung unter Leitung von Simon Rattle.
Gilliams, Mitbegründer der britischen Komikergruppe Monty Python, hat für seine erste Operninszenierung offensichtlich Thomas Manns Roman "Doktor Faustus" zur Hand genommen, ohne dessen gedankliche Komplexität wirklich verstanden zu haben. Auf seinem Parforceritt durch die deutsche Geschichte ergänzt der amerikanisch-britische Regisseur Berlioz' Lesart von Goethes Faust willkürlich um krude Einfälle, die alle Vorurteile hinsichtlich eines von dumpfen Ressentiments getrübten Blicks zu bestätigen scheinen. Immerhin verzichtet Gilliam auf schwarzen Humor im Stil von "Das Leben des Brian", der hier vollends fehl am Platz gewesen wäre.
Während der amerikanische Tenor Charles Castronuovo als Faust mit karottenfarbener Punkfrisur rastlos durch die Wälder streift, schaut Caspar David Friedrichs Wanderer von einem Felsvorsprung aus in die Unendlichkeit des Nebelmeers. Vom Irrationalismus der deutschen Romantik lässt sich Gilliam schnurstracks in die Gefilde des Nationalsozialismus leiten. Eine ebenso dogmatische wie umstrittene Sichtweise, die laut dem Historiker Jacques Barzun die amerikanische Geschichtswissenschaft in den 1940er Jahren beherrschte. Dies hebt der Thomas-Mann-Experte Hans Rudolf Vaget in einem im Programmheft abgedruckten Essay hervor.
Auf der Bühne des Schiller Theaters stimmen alsbald SA-Schergen in Auerbachs Keller ein Schmählied auf die Bolschewisten in der Weimarer Republik an. Zwischen ihnen wirbelt Otto Dix' "Frau mit dem roten Kleid" über die Bühne, als Reminiszenz an die skandalumwitterte Tänzerin Anita Berber. Auf Videos sind das Schlachtgetümmel im Ersten Weltkrieg und später die Bombenangriffe der Alliierten gegen Hitler-Deutschland zu sehen. Das von Faust verführte und verlassene Gretchen (Marguerite), in deren Rolle die stimmlich hervorragend disponierte Magdalena Kožená zu erleben ist, wird im düsteren Finale als Jüdin ins KZ deportiert. Von einem Leichenberg aus steigt sie zum Schluss symbolisch in den Himmel auf.
Gilliams manische Fixierung auf Nazi-Klischees, die durch Bezüge zu dem von Propagandafilmregisseurin Leni Riefenstahl betriebenen Körperkult verfestigt werden, lässt das Bühnengeschehen weit von Berlioz' Vorlage abdriften. Der französische Romantiker, der Goethes "Faust" in der Übersetzung von Gérard de Nerval kennenlernte, hatte sein Werk nicht für eine szenische Umsetzung konzipiert. Eine konzertante Aufführung wäre auch der Staatsoper in diesem Fall besser bekommen. Neben Castronuovo und Kožená, die Goethes "Ballade vom König von Thule" mit schmerzvoller Intensität interpretiert, begeistert der österreichische Bariton Florian Boesch, der als Méphistophélès alle Schattierungen des Bösen auszudrücken vermag.
Der scheidende Philharmoniker-Chef Rattle, an der Staatsoper bisher ein seltener Gast, zeigt sich als souveräner, am sinfonischen Repertoire geschulter Dirigent. Unter seiner Stabführung kann sich Berlioz' Musik in all ihren Nuancen und ohne künstlich herbeigeführte Effekte entfalten. Die Balance zwischen Graben und Bühne droht sich anfangs zwar kurzzeitig zu Ungunsten der Gesangsolisten zu verschieben, stimmt dann aber perfekt. Neben der Staatskapelle hinterlässt auch der Staatsopernchor einen hervorragenden Eindruck. Am Ende gibt es stürmischer Applaus für Orchester und Sänger, während die Reaktionen auf die Regie geteilt ausfallen. Gilliam und sein Team kassieren neben Applaus auch deftige Buhrufe.
(Von Corina Kolbe)
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