Der Grüne Hügel als skandalfreie Zone

25. Juli 2017 - 09:30 Uhr

(Korrespondentenbericht)

Bayreuth – Die Beete sind bepflanzt, die Hecken im Park rund um das Bayreuther Festspielhaus akkurat gestutzt. Eine Gruppe Touristen steigt kurz aus ihrem Reisebus, macht Fotos von der berühmten Fassade. Das Sicherheitspersonal dreht unaufgeregt seine Runden. Hinter den hohen Zäunen am Bühneneingang werden Wagen mit Bühnenbildern hin- und hergefahren. Natürlich gut versteckt unter Planen. Vor der Eröffnung der Richard-Wagner-Festspiele am (heutigen) Dienstag geht es auf dem Grünen Hügel zu Bayreuth ruhig zu. Und das ist bemerkenswert.

Festspielhaus Bayreuth

Festspielhaus Bayreuth

Schließlich konnte man fast jedes Jahr damit rechnen, dass irgendein Skandal den Adrenalinspiegel der Wagnerianer noch einmal nach oben treiben würde, bevor der erste Ton dem Orchestergraben entsteigt. Mal wurde ein Sänger wegen eines früher sichtbaren Hakenkreuz-Tattoos geschasst, mal schmiss die Sängerin der Titelpartie einen Monat vor der Eröffnung hin, mal reiste kurz vor der Premiere aus undurchsichtigen Gründen der Dirigent ab.

Und 2017? Man habe Spaß an der Probenarbeit und freue sich auf die Festspiele, lassen Barrie Kosky und Philippe Jordan verlauten. Regisseur und Dirigent der diesjährigen Premierenoper "Die Meistersinger von Nürnberg" scheinen perfekt zu harmonieren, sie loben die Besetzung, die ihnen Festivalchefin Katharina Wagner und Musikdirektor Christian Thielemann organisiert haben.

Und Wagner schürt schon einmal die Vorfreude auf die "Meistersinger": "Barrie Kosky ist ein wunderbarer Regisseur", sagte sie vor wenigen Wochen auf einer Veranstaltung an der Universität Bayreuth. Es sei eine Freude, ihm zuzuschauen.

Der Intendant der Komischen Oper Berlin ist Profi und ein Theater- und Opernmacher aus Leidenschaft. Dass er zusammen mit Jordan, Musikdirektor der Pariser Oper und Chefdirigent der Wiener Symphoniker, Qualität abliefern wird, versteht sich fast schon von selbst. Jordan debütierte 2012 in Bayreuth, als er Stefan Herheims gefeierte "Parsifal"-Inszenierung in deren letztem Jahr dirigierte und hervorragende Kritiken dafür erntete.

Erneut zum Programm gehört "Tristan und Isolde" in der Regie von Katharina Wagner und unter der musikalischen Leitung von Thielemann. Der "Parsifal" von Uwe Eric Laufenberg geht in die zweite Runde. Im Vorjahr hatte der eigentlich vorgesehene Dirigent Andris Nelsons vier Wochen vor Festspielstart das Handtuch geworfen. Warum genau – das weiß die Öffentlichkeit bis heute nicht so wirklich. Hartmut Haenchen ist eingesprungen, er steht auch dieses Jahr am Pult.

Einen Tag vor der Eröffnung gab es einen Festakt zu Ehren des einstigen Festspielchefs und Regisseurs Wieland Wagner. Er wurde vor 100 Jahren geboren. Und was sehr selten ist – im Festspielhaus erklang aus diesem Anlass nicht nur Musik von Richard Wagner, sondern es waren auch Ausschnitte aus Verdis "Otello" und Alban Bergs "Wozzeck" zu hören. Die Festrede hielt Sir Peter Jonas, der frühere Intendant der Bayerischen Staatsoper München.

Es ist ein versöhnliches Zeichen, dass ein derartiger Festakt in Bayreuth möglich ist. Schließlich waren sich die Familienzweige Wielands und seines Bruders Wolfgang Wagner nicht immer grün. Wolfgang hatte die Festivalleitung 1951 gemeinsam mit Wieland übernommen und nach dessen Tod 1966 allein weitergeführt. Wielands Tochter Nike hatte mehrmals ihr Interesse an dem Chefposten in Bayreuth formuliert und war auf Konfrontationskurs zu ihrem Onkel Wolfgang gegangen. Doch der schaffte es, seine Töchter Katharina und Eva Wagner-Pasquier 2008 als Doppelspitze zu installieren. Inzwischen ist Katharina alleinige künstlerische Leiterin.

Zum letzten Mal in Bayreuth zu sehen ist in diesem Jahr der "Ring des Nibelungen" in der Regie von Frank Castorf. Bei der Premiere 2013 erntete seine Version der Tetralogie mit sich vermehrenden Krokodilen, Motel-Ambiente und Blowjob am Berliner Alexanderplatz heftige Buhrufe. Von Jahr zu Jahr schwand zwar die extreme Aufregung. In rückhaltlose Begeisterung schwenkte die Stimmung freilich nicht um – es ist halt zu viel Trash fürs konservative Publikum. Offen ist, wie die Zuhörerschaft im Abschiedsjahr reagiert. Castorf indes hat inzwischen Übung im Abschiednehmen; vor wenigen Wochen ist er nach einem Vierteljahrhundert als Intendant der Berliner Volksbühne abgetreten.

Zu den Proben sei Castorf noch einmal hier gewesen, hieß es aus dem Medienbüro der Festspiele. Ob er sich in der Premierenwoche noch einmal dem Publikum zeigt, weiß man freilich noch nicht.

Die Schaulustigen in Bayreuth dürften in diesem Jahr dem Festspiel-Auftakt besonders entgegenfiebern, nachdem der rote Teppich im Vorjahr aus Respekt vor den Opfern des Amoklaufs von München nicht ausgerollt wurde. Zur Eröffnung hat sich das schwedische Königspaar Carl Gustaf und Silvia angesagt. Royalen Glanz im Festspielhaus gab es zuletzt vor 30 Jahren, als der britische Thronfolger Charles eine Vorstellung besucht hatte. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt wieder zum Festivalbeginn, nachdem sie sich im vergangenen Jahr noch wegen Terminschwierigkeiten entschuldigen hat lassen. Also auch an der Promi-Front scheint alles in schönster Ordnung zu sein.

(Von Kathrin Zeilmann, dpa/MH)

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