Ultimative Lovestory – Katharina Wagners kesse "Tristan"-Inszenierung bleibt umstritten

27. Juli 2017 - 08:24 Uhr

Bayreuth – Eine Isolde, die den toten Geliebten auf der schwarz drapierten Leichenbahre innigst liebkost und von ihrer Dienerin Brangäne nur mit Mühe vor dem Äußersten zurückgehalten werden kann, das ist eine ganz neue Sicht des Wagnerschen Topos vom "Liebestod".

"Tristan und Isolde"

"Tristan und Isolde"

Bei der provokativen Schlussszene von Richard Wagners "Tristan und Isolde" gellte am Mittwochabend im Bayreuther Festspielhaus ein lautes Buh durch die voll besetzten Ränge. Auch als der Vorhang gefallen war, gab es jede Menge Protest für Katharina Wagner, die aktuelle Chefin auf dem "Grünen Hügel" und Regisseurin des zweiten Abends der diesjährigen Bayreuther Festspiele.

Natürlich hätte Wagners Urenkelin auch in der Geschichte ihrer eigenen Familie blättern können, wie es Kollege Barrie Kosky am Dienstagabend bei seiner mehrheitlich umjubelten Deutung der "Meistersinger" als antisemitisches Schlüsselwerk des Komponisten getan hatte. Denn auch der "Tristan" besitzt einen delikaten biografischen Hintergrund.

Als Richard Wagner die Oper komponierte, hatte er sich nämlich in Mathilde Wesendonck verliebt, die Frau seines Züricher Gönners Otto Wesendonck. Die nicht besonders ritterliche Dreiecksbeziehung spiegelt sich in der Konstellation Tristan-Isolde-König Marke. Sie war zwar nicht tödlich, wie in der Oper, führte aber zu allerlei Ungemach.

Doch Katharina Wagner wählte den undankbareren Weg der Abstraktion. In ihrer düsteren, reduzierten Inszenierung aus dem Jahre 2015, die in diesem Jahr wiederaufgenommen wurde, tilgte sie fast alle historisch-mythologischen Schnörkel des "Tristan"-Stoffes und konzentrierte sich auf die ultimative Lovestory, eine unbedingte, existenzielle, verzehrende Liebe, deren Vollzug auf Erden unmöglich ist.

Im ersten Aufzug finden Tristan und Isolde in einem labyrinthischen Gewirr von Treppen und Gestänge nur zögernd zueinander. Schließlich sollte der Ritter für seinen Oheim, König Marke, um die Hand der Königstochter Isolde anhalten. Doch nach dem gemeinsamen Genuss des Liebestranks gibt es kein Halten mehr. Der Treuebruch gegenüber Marke hat böse Folgen: Tristan, Isolde und ihr Gefolge werden in einer Art High-Tech-Burggraben festgesetzt, beleuchtet von Suchscheinwerfern wie in einem Gefangenenlager. Ihr Versuch, sich das Leben zu nehmen, wird von Marke und seinen Mannen vereitelt, Tristan tödlich verletzt.

Der letzte Aufzug erinnert an die fast leeren, zeichenhaften Bühnenräume von Wieland Wagner, dem Erneuerer Bayreuths nach den Verstrickungen der Nazizeit, dessen 100. Geburtstag zu Beginn der Festspiele mit einem Festakt gefeiert wurde. In seinen Fieberträumen erscheinen dem sterbenden Tristan Visionen Isoldes, dann machen Markes Leute kurzen Prozess mit Tristans Gefolge. Nur die Frauen bleiben zurück, und die verzweifelte Isolde macht sich über den Leichnam ihres Geliebten her.

Während die Regisseurin für ihre kessen, aber durchaus überzeugenden Ideen Federn lassen musste, profilierte sich Christian Thielemann, Musikdirektor der Festspiele und umjubelter Dirigent des Abends, einmal mehr als musikalischer Lordsiegelbewahrer der Wagner-Festspiele. Mal zärtlich, mal lauernd, mal ekstatisch, mal gewalttätig – Thielemann zog alle Register – und Chor und Orchester der Festspiele folgten ihm engagiert und flexibel.

Die Rollen der beiden Protagonisten in Wagners "Tristan" gelten als höchst anspruchsvoll, als Mount Everest der Opernliteratur. Oft ist man schon froh, wenn die Sänger unterwegs nicht schlapp machen. Bei Stephen Gould als Tristan und Petra Lang als Isolde waren diese Befürchtungen unbegründet. Das galt auch für die etwas weniger herausfordernden Rollen des Marke (René Pape) und der Brangäne (Christa Mayer). Berechtigter Jubel.

(Von Georg Etscheit, dpa/MH)

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