(Korrespondentenbericht)
Bayreuth – Jahrelang haben die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele Hans Neuenfels' Ratten-"Lohengrin" aufgeführt – am Mittwoch kam eine neue Interpretation der Oper auf die Bühne. Regisseur Yuval Sharon erzählt die Geschichte von Richard Wagners berühmtem Schwanenritter als Märchen – nicht mehr und nicht weniger.
Märchenhaft ist dabei vor allem das Bühnenbild von Deutschlands Kunststar Nummer eins: Neo Rauch hat seit sechs Jahren daran gearbeitet und taucht den neuen Bayreuther "Lohengrin" in Blau. Wer sein Gemälde "Das Blaue" kennt, bekommt eine ungefähre Ahnung davon, wie sie aussieht, die Bayreuther Eröffnungsinszenierung 2018.
"Die Farbe des Vorspiels ist Blau, so haben wir es empfunden", schreiben Rauch und seine Ehefrau Rosa Loy, die mit ihm zusammen für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, im Programmheft. Von Friedrich Nietzsches "Lohengrin"-Analyse ("blau von opiatischer, narkotischer Wirkung") hätten sie damals noch nicht einmal gewusst.
Ihr sinnliches Bühnenbild ist das bestimmende Element der Inszenierung, bewegt sich irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit und steht im krassen Gegensatz zum nüchternen Versuchsaufbau, der die "Lohengrin"-Inszenierung von Hans Neuenfels bestimmte, die vor zwei Jahren zum letzten Mal in Bayreuth auf die Bühne kam. Bei Sharon, Rauch und Loy scheint es eher um eine sinnliche als eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem "Lohengrin"-Stoff zu gehen.
Die einzige Gemeinsamkeit: Ungeziefer. Während die Ratten – anfangs umstritten, zum Schluss gefeiert – der Neuenfels-Inszenierung eine ungeheure Dynamik gaben, ändern aber auch die Wesen in Sharons "Lohengrin", die sich irgendwo zwischen Menschen, Fliegen und Motten bewegen, nichts an der Starrheit der inhaltlich eher schlichten Neuinterpretation.
Lohengrin (Piotr Beczała) bringt ihnen, begleitet von Blitz und Donner, Elektrizität. Die Motten werden angezogen vom Licht, das wieder erlischt, wenn der Schwanenritter am Ende gezwungenermaßen von dannen zieht.
Die starken Frauenfiguren in der Oper hätten sein Interesse geweckt, hatte der US-Amerikaner Sharon im Vorfeld gesagt. Dass Elsa (Anja Harteros) unbedingt wissen will, wen sie da geheiratet hat, sei für ihn kein Zeichen von zerstörerischer Neugier, sondern vom Aufbegehren gegen blinden Gehorsam dem Gatten gegenüber.
Das sieht man seiner unglaublich statischen Inszenierung allerdings kaum an. Personenführung scheint kaum vorhanden. Die aufwiegelnde Ortrud (Waltraud Meier) erscheint zwar in einem Kostüm, das mit seinem weißen Kragen entfernt an Englands Elisabeth I. erinnert, die jungfräuliche Königin, die sich für ihr Land entschied – und gegen einen Mann. Und Elsa ist nicht sonderlich begeistert davon, in der Hochzeitsnacht zu erfahren, dass ihr Liebster auf Fesselspielchen steht. Dann reicht es ihr. Sie fragt nach seinem Namen und tauscht das narkotische Blau ihrer Kleidung fortan gegen selbstbewusstes Orange.
Das war es aber auch schon mit Regieeinfällen. Sharon war für den ursprünglich geplanten und wegen seiner Äußerungen zur deutschen Flüchtlingspolitik umstrittenen konservativen Letten Alvis Hermanis eingesprungen. Damals war das Bühnenbild von Rauch schon weit gediehen, der Handlungsspielraum für Sharon dürfte entsprechend eng gewesen sein.
Eher gemischt fällt dann auch die Reaktion des Publikums aus, ganz im Gegensatz zum musikalischen Teil der Inszenierung. Der wird – wie fast immer in Bayreuth – einhellig bejubelt. Allen voran gilt der Applaus Piotr Beczała, dem Mann, ohne den die Premiere wohl ins Wasser gefallen wäre. Schließlich war er nur wenige Tage vor Probenbeginn für den Tenor Roberto Alagna eingesprungen, der es schlicht nicht geschafft hatte, rechtzeitig den Text zu lernen.
Dabei ist es wohl eher die große Dankbarkeit, die das Publikum ausdrücken will, als die ganz große Begeisterung. Ist Beczała doch ein zurückhaltender Lohengrin, der hinter Harteros als Elsa und Bayreuth-Rückkehrerin Waltraud Maier (sang vor 18 Jahren zum letzten Mal auf dem Hügel) als Ortrud etwas in den Hintergrund gerät.
Unumstritten ist beim Publikum auch die musikalische Leistung von Musikdirektor Christian Thielemann, der mit dem "Lohengrin" jetzt alle zehn im Festspielhaus aufgeführten Wagner-Werke dirigiert hat. Das ist vor ihm nur Felix Mottl (1856-1911) gelungen.
(Von Britta Schultejans, dpa/MH)
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