Berlin (MH) – Wie bei runden Jubiläen üblich, wird auch zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane eher geklotzt als gekleckert. Büchertische biegen sich unter Neuerscheinungen, neben Kunstausstellungen und Lesungen werden Rundgänge durch Schlösser, Klöster und Kirchen der Mark Brandenburg geboten. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine Fontane-Oper, die sich noch dazu mit dem nie vollständig ergründeten Rätsel Frau beschäftigt.
So fiel der Beifall für Detlev Glanerts "Oceane" bei der Premiere am Sonntagabend in der Deutschen Oper Berlin stürmischer aus, als man es sonst bei Uraufführungen gewohnt ist. Frei nach Fontanes Novellenfragment "Oceane von Parceval" geht es in dem Auftragswerk um eine geheimnisvolle, zur Liebe unfähige "Wasserfrau", die von der bourgeoisen Spießergesellschaft des 19. Jahrhunderts übel gemobbt wird. Regie führt der Kanadier Robert Carsen.
Oceane, eindringlich verkörpert von der schwedischen Sopranistin Maria Bengtsson, steigt in Videoeinblendungen zu Beginn mit einem a-cappella-Solo aus dem Urgrund des Meeres hervor. Scherenschnittartig zeichnen sich dann auf der Bühne die düsteren Konturen einer Terrasse mit Meerblick ab. In einem Hotel, das offenbar schon bessere Zeiten gesehen hat, nimmt das Drama unter einem bleischweren Himmel unaufhaltsam seinen Lauf. Der junge Gutsbesitzer Martin von Dircksen, gesungen von dem österreichischen Tenor Nikolai Schukoff, umwirbt die attraktive Fremde auf die eher plumpe Tour und bringt sie in arge Bedrängnis. Denn die in eine nixenschwanzähnlich schillernde Robe gekleidete Oceane, von Fontane als "moderne Melusine" ersonnen, verspürt keine menschlichen Gefühle.
Der Mythos der Meerjungfrau und der Fremden am Meer beflügelte die Fantasien vieler Dichter und Schriftsteller der Romantik, von Friedrich de la Motte Fouqué, Christian Andersen bis zu Henrik Ibsen. Fontanes Oceane erscheint zunächst als unabhängige, offensichtlich vermögende Frau, die sich nicht um gesellschaftliche Regeln schert. Das bringt sie alsbald in Konflikt mit einer Gruppe bornierter Hotelgäste und einem eifernden Pfarrer (Albert Pesendorfer), die sie als unliebsame Außenseiterin drangsalieren. Dass tiefes Misstrauen gegen alles Unkonventionelle heute nach wie vor verbreitet ist, will Glanerts Librettist Hans-Ulrich Treichel in Dialogen mit Gegenwartsbezügen zeigen, die er in Fontanes Fragment eingebettet hat.
Der große Chor übernimmt eine scheinbar widersprüchliche Doppelfunktion. Er steht einerseits für die feindselige Welt, die Oceane brutal ausgrenzt, und zugleich für die Urgewalt des Meeres, die sich in wortlosen Naturlauten artikuliert und sie am Ende wieder an sich ziehen wird. Um den Klang des Elementaren plastisch zu gestalten, setzt Glanert auch Windmaschinen und Röhrenglocken ein. Eingängige, operettenhafte Klänge mit Polka- und Walzer-Rhythmen werden zum Soundtrack einer dekadenten Gesellschaft, die, wie die vornehm auf Französisch parlierende Hotelbesitzerin Madame Louise (Doris Soffel), dem Glanz vergangener Tage hinterhertrauert.
Oceane kann nicht anders, als aus dieser engen Welt auszubrechen und sich Dircksens Liebeswerben zu entziehen. Doch sie leidet auch darunter, seine Empfindungen nicht erwidern zu können. Ihre Emotionen entladen sich auf einem Ball in einem wilden Tanz, der an die Schlussszene von Strauss' Oper "Elektra" erinnert. Für Fontane war die Nixengestalt nur deshalb reizvoll, weil sie "die Sehnsucht nach dem Gefühl" verspürte. Dieses Verlangen wird in Oceane allerdings erst durch Dircksen geweckt. Die Frau als Natur- und Elementarwesen war also letztlich dazu verdammt, als Weibchen nach Schutz und Erlösung durch den Mann zu suchen. Szenen, in denen der innere Zwiespalt Oceanes zu dramatischen Ausbrüchen führt, gehören zu den eindrücklichsten Momenten des Abends. Schließlich bleibt ihr nur die Rückkehr in das Meer, aus dem sie gekommen war und in dem sich ihr Gesang nun im Unhörbaren auflöst.
Unter den Solisten erhielt vor allem Bengtsson für ihre sangliche und darstellerische Leistung stürmischen Applaus. Auch der hervorragende Opernchor und das groß besetzte Orchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Donald Runnicles sowie das Regieteam unter Robert Carsen wurden mit Ovationen im Stehen bedacht. Die durchweg konventionelle Inszenierung mit den auf Opernbühnen fast schon obligaten Videoclips wird aber wohl weniger in Erinnerung bleiben als Glanerts Musik.
(Von Corina Kolbe)
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(ck/wa)
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