Forscher: Konzerte und Opern in vollen Sälen möglich

17. August 2020 - 18:26 Uhr

Berlin (MH) – Klassische Konzerte und Opernveranstaltungen könnten auch in der Corona-Pandemie vor vollbesetzten Sitzreihen stattfinden. Die wichtigste Voraussetzung dafür wäre, dass alle Zuschauer einen einfachen medizinischen Mund-Nasen-Schutz tragen. Das geht aus einer Empfehlung der Charité-Institute für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie für Hygiene und Umweltmedizin hervor, die am Montag herausgegeben wurde.

Stefan Willich

Stefan Willich

Als weitere Bedingungen nannten die Autoren das Einhalten der bekannten Abstands- und Hygieneregeln und eine ausreichende Lüftung der Räume mit Frischluft oder durch HEPA-Filter. Zudem müsse eine Kontaktpersonen-Nachverfolgung ermöglicht werden. Getränke und Lebensmittel sollten nicht ausgegeben werden. Den Mund-Nasen-Schutz müssten die Zuschauer vom Betreten bis zum Verlassen des Gebäudes tragen.

"Das Publikum von Klassikveranstaltungen zeichnet sich durch ein aufgeklärtes Verständnis der gesundheitlichen Zusammenhänge, eine disziplinierte Verhaltensweise sowie die sorgfältige Einhaltung von Vorgaben aus", heißt es in der Empfehlung. Die Zuschauer würden während der Aufführungen auch nicht miteinander sprechen. Zudem hielten sie unabhängig von Corona-Regeln einen sozial angemessenen Abstand. Und Bewegungsströme und Gedränge ließen sich bei Klassik-Veranstaltungen meist gut steuern.

Die entscheidende Grundlage für die Empfehlung sei die wissenschaftliche Beurteilung der Wirksamkeit der Mund-Nasen-Masken, erklärte der Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie, Stefan Willich, im Sender rbb inforadio. "Wenn man einen solchen Schutz trägt, werden ungefähr 95 Prozent der Viruslast absorbiert", sagte er. "Das heißt, man selber ist geschützt und auch das Gegenüber." Willich hat neben Medizin auch Violine, Kammermusik und Dirigieren studiert. Er tritt unter anderem mit dem 2008 von ihm gegründeten World Doctors Orchestra auf. Von 2012 bis 2014 war er Rektor der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" Berlin.

Auch für die Musiker von Konzert- und Opernorchestern haben die Wissenschaftler der Charité ihre Stellungnahme vom Mai aktualisiert. Basierend auf aktuellen Erkenntnissen empfehlen sie für Streicher nun einen Stuhlabstand von nur noch einem Meter statt 1,5 Metern. Bei Bläsern reichen 1,5 statt zwei Meter. Ein Plexiglasschutz vor den Blechbläsern ist nicht mehr notwendig und kann entfallen. Für Streicher, Schlagzeuger und Tasteninstrumente bleibt die Empfehlung von 1,5 Meter Stuhlabstand. Eine regelmäßige Reihen-Testung aller symptomfreien Orchestermitglieder auf eine COVID-19-Infektion vor Beginn des Spielbetriebs sei nicht erforderlich und aus epidemiologischer Sicht nicht sinnvoll.

Beim Spielen von Blasinstrumenten können potentiell mit Viren belastete Tröpfchen und Aerolose ausgestoßen werden. Verschiedene Studien hätten jedoch gezeigt, dass diese weniger als einen halben Meter nach vorne bewegt werden. Lediglich bei der Querflöte könne es ein ganzer Meter werden. Streicher säßen parallel nebeneinander, ihre Bewegungen seien begrenzt und ausschließlich an ihrem Platz. Ihre Atemfrequenz könne abhängig von den zu spielenden Passagen erhöht sein, doch atmeten sie in der Regel mit geschlossenem Mund durch die Nase. Da die Musiker sich nicht gegenübersitzen und nicht regelmäßig miteinander sprechen, sei die Gefährdung einer Infektion geringer als beim normalen sozialen Kontakt mit Gespräch.

Der Vorstand der Charité distanzierte sich am Nachmittag von der Stellungnahme zum Publikumsbetrieb. Dabei handele es sich um ein "nicht abgestimmtes Papier", hieß es auf dem Twitter-Account. Der Entwurf berücksichtige nicht die aktuelle Dynamik des Infektionsgeschehens und der damit verbundenen Risiken. Er sei daher "nicht als Handlungsvorschlag, sondern als Grundlage einer weiteren kritischen Diskussion im Rahmen der Berliner Teststrategie zu betrachten".

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(wa)

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