Dienstagmittag auf dem Berliner Hauptbahnhof. Ein junger Mann mit einem Cello unterhält sich mit ein paar Leuten. Eine junge Mutter mit zwei kleinen Kindern setzt sich auf den Boden, daneben eine Frau mit ihrem Hund. Ein knutschendes Pärchen kommt dazu und ein halbes Dutzend Teenager. Gut 20 Leute sind in dem Bahnhofstrubel stehengeblieben, da setzt sich der junge Mann auf einen Stuhl und fängt an, auf seinem Cello zu spielen. Wenige Minuten später ist er von über hundert Menschen umringt.
Der junge Mann heißt Alban Gerhardt und ist einer der erfolgreichsten Cellisten unserer Zeit. Nicht jeder der Zuhörer wird ihn kennen, aber das ist in dem Moment auch völlig egal. Er spielt die sechs Suiten von Johann Sebastian Bach. Nicht alle Zuhörer werden wissen, dass es mit die schwersten Werke für Cello sind. Aber darauf kommt es genausowenig an. Doch die Konzentration des Musikers können die Menschen nachempfinden. Und das knutschende Mädchen flüstert plötzlich: "Och, das klingt schön!"
Keine Bühne war im Bahnhof aufgebaut, es gab weder Scheinwerfer noch Showeinlagen. Die einzige Technik war ein kleiner Lautsprecher – wegen der Geräuschkulisse von Zügen und Durchsagen. Ansonsten brauchte es nur diesen Musiker und sein Cello, um das Publikum zu fesseln. Alle zwei Stunden spielte Gerhardt je zwei Suiten, immer rund eine Dreiviertelstunde. In den Pausen verschwand er nicht etwa, sondern unterhielt er sich mit den Besuchern.
Von der Zahl der Zuhörer war er selbst überrascht: "Ich hatte gehofft, dass ein paar Leute stehen bleiben. Aber mit so einem Publikum habe ich nicht gerechnet", sagte Gerhardt gegenüber musik heute. Dass es weitaus anstrengender sein würde, im Bahnhofsbetrieb statt im ruhigen Konzertsaal zu spielen, hatte Gerhardt einkalkuliert: "Die Düsseldorfer Fußballer wissen auch, dass sie am Donnerstag ein schweres Spiel vor sich haben und machen es trotzdem", meinte der Cellist und fügte hinzu: "Die Dinge müssen nicht immer leicht sein, um zu begeistern."
(wa)
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