Entstand Musik aus Babysprache? – Forscher vermutet Ursprung in der Mutter-Säugling-Beziehung

09. Mai 2011 - 10:20 Uhr

Wie ist die Musik in der Menschheitsgeschichte entstanden? Der Grazer Professor Richard Parncutt hat jetzt die Vermutung geäußert, dass ihr Ursprung in der "Babysprache" liegt, also der akustisch-gestischen Kommunikation zwischen Mutter und Säugling. "Die Babysprache ist komplex, melodisch, rhythmisch und ausdrucksvoll – kurz: musikalisch", erklärte der aus Melbourne (Australien) stammende Parncutt.

Prof. Richard Parncutt (Foto: Sissi Furgler)

Die Grundlage für diese Form der Verständigung sieht der Forscher in der klanglich-kinetischen Wahrnehmung der Mutter durch den Fötus. Bereits vier Monate vor der Geburt könne er den Herzschlag der Mutter, ihre Atmung und Stimme, ihre Schritte und ihre Magengeräusche hören. Über den Gleichgewichtssinn, die Haut und die eigene Körperwahrnehmung registriere er auch ihre Bewegungen.

"Alle diese Laut- und Bewegungsmuster sind abhängig vom Gefühlszustand der Mutter und erhalten damit für den Fötus eine emotionale Qualität", sagte Parncutt. "So können sie zur Grundlage für die Laut- und Bewegungsstruktur von Musik werden." Der Wissenschaftler sieht in dieser vorsprachlichen, unbewussten Wahrnehmung den Ursprung von Musikalität als einzigartige menschliche Fähigkeit.

Babysprache sei charakterisiert durch die Übertreibung sprachlicher Tonhöhenvariationen. Gefühle stünden im Vordergrund, Begriffe würden vereinfacht, Wörter verkürzt. Besonders interessant findet Parncutt, dass das lautlich-gestische Vokabular dieser kodierten Kommunikation universell zu sein scheint. "Das stimmt mit der Theorie überein, dass der Fötus die Codes im Mutterleib erwirbt", findet der Forscher eine mögliche Erklärung.

Fast jeder Mensch ist musikalisch

"Unabhängig von meiner Theorie gehen Musikpsychologen davon aus, dass fast jeder Mensch musikalisch ist", erklärte Prof. Parncutt auf Anfrage des Nachrichtenmagazins musik heute am Montag. "Nur etwa vier Prozent der Menschen sind von Geburt an oder durch eine Schädigung des Gehirns wirklich unmusikalisch." Auf die Frage, warum sich viel mehr Menschen als "unmusikalisch" bezeichnen, äußerte er: "Viele haben in der Kindheit schlechte Erfahrungen mit Musik gemacht. Zum Beispiel hat der Lehrer gemeint: 'Du kannst nicht singen und darfst nicht in den Chor'. Oder die Eltern haben die frühen musikalischen Improvisationen ihrer Kinder als 'Lärm' bezeichnet. Normal-musikalische Menschen, die sich für unmusikalisch halten, werden in der Forschung als "false amusics" bezeichnet", erläuterte der Forscher und fasste zusammen: "Wer nicht singen kann, hat es oft einfach kaum geübt."

Universität Graz

Der Leiter des Zentrums für Systematische Musikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz (Österreich) vermutet, dass die Babysprache vor ein bis zwei Millionen Jahren entstand, als das menschliche Gehirn an Größe zunahm. Der Kopf der Babys wurde größer, weshalb diese aus anatomischen Gründen früher zur Welt kommen mussten. "Die Neugeborenen wurden damit schutzbedürftiger. Mutter und Kind brauchten eine aufeinander abgestimmte Form der Kommunikation, um die Sicherheit und das Überleben des Babys zu gewährleisten", so Parncutt. Gleichzeitig entstanden durch das größere Gehirn neue kognitive Möglichkeiten.

Die starke emotionale und soziale Kraft von Musik ist nach Meinung Parncutts ein gutes Argument für den Ursprung von Musik im Band zwischen Mutter und Kind. Aus derselben Quelle könnte seiner Ansicht nach auch die Spiritualität entsprungen sein, die von jeher eng mit Musik verbunden war: "Denn Spiritualität ist im Grunde ein tiefsinniges Gespür für sich selbst und ein Gefühl der inneren Verbundenheit mit anderen Menschen und mit der Welt. Der Säugling nimmt sich und seine Mutter als eine untrennbare Einheit wahr."

(wa)

http://www.uni-graz.at

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