Einige der größten Musiker hat er schon porträtiert, den Pianisten Glenn Gould zum Beispiel und den Geiger Yehudi Menuhin. Vor seiner Kamera hat Sviatoslav Richter so detailliert über sein Leben berichtet wie sonst niemals. Auch die bisher einzige DVD mit dem Pianisten Grigory Sokolov hat der französische Filmemacher Bruno Monsaingeon gedreht. Dabei ist er eigentlich Geiger. (Cliquez ici pour la version française.)
Schon mit vier Jahren hat der 1943 geborene Bruno Monsaingeon Klavier gespielt. Viel lieber hörte er aber den Violinen zu. Besonders hatte es ihm eine Schallplatte angetan, auf der ein kleiner Junge die Ungarischen Tänze von Johannes Brahms spielte. "Die Musik fühlte sich an, als würde mir dieses Kind die Hand reichen", erinnert sich Bruno Monsaingeon im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin musik heute. Das Kind von der Schallplatte war der bei der Aufnahme 13-jährige Yehudi Menuhin.
Begeistert von der Geigenmusik bettelte Bruno seine Eltern über Jahre an, dass er eine Violine haben wollte. "Ständig beobachtete ich im Konzert die Geiger. Auch wenn ich Schallplatten hörte, achtete ich immer ganz genau auf die Violinen und las die Noten mit." Doch erst nach sechs Jahren bekam er zu Weihnachten das gewünschte Instrument. Als er endlich seine erste eigene Geige in Händen hielt, schloss er sich damit in einer Eisenbahn-Toilette ein und spielte darauf während der ganzen Fahrt. Vier Stunden lang. Dann musste er noch mal bis Ostern warten, ehe er zum Geigenunterricht gehen durfte (damals begann das Schuljahr im Frühling).
Bald darauf kam er auf ein Konservatorium. Und drei Jahre später traf er bei einem Meisterkurs – Yehudi Menuhin! Der Student Bruno Monsaingeon sprach ihn gleich am ersten Tag an: "Maestro, bitte, darf ich Ihre Noten der Sonaten und Partiten von Bach mit Ihren handschriftlichen Markierungen sehen?" Menuhin bat um Verständnis, dass er nicht all seine Noten auf Reisen mitnehmen würde. "Doch am nächsten Morgen kaufte Menuhin einen neuen Band, fügte aus dem Gedächtnis alle seine Markierungen ein und schenkte mir das Exemplar ", berichtet Monsaingeon. Das war der Anfang einer lebenslangen Freundschaft.
Neue Ziele
Eines Tages fing der begeisterte Geiger Bruno Monsaingeon an, Filme über Musiker zu drehen. Wie es dazu kam? „Ich hatte das Gefühl, dass es noch andere Wege geben muss, den Menschen Musik zu vermitteln“, erzählt er. Es reichte ihm nicht mehr aus, die Stücke nur in Konzerten aufzuführen. "Schon immer hatte ich komponiert, ich wollte also etwas kreieren. So war es auch mit der Musikvermittlung. Ich wollte etwas Neues schaffen, wusste aber noch nicht, was es sein könnte“, erzählt Monsaingeon.
1970 nahm er als Geiger für das französische Fernsehen mehrere Musikstücke auf. Die Dreharbeiten in dem Studio dauerten fast ein Jahr. "Die ganze Zeit waren Kameras um mich herum, Scheinwerfer und Mikrofone. Ich konnte alle Arbeiten beim Film beobachten. Da wusste ich, was ich machen werde“, sagt Monsaingeon. Er schrieb ein Konzept für ein dreiteiliges Programm über – natürlich – Yehudi Menuhin. "Zu meiner eigenen Überraschung wurde das Projekt vom Fernsehen angenommen und ich durfte den Film drehen."
Angespornt von seinem ersten Erfolg, schrieb er einen Brief an den Pianisten Glenn Gould. „Von ihm hatte ich zuerst auf einer Schallplatte gehört, die ich in Moskau gekauft hatte“, sagt Bruno Monsaingeon. Zu dieser Zeit war der kanadische Pianist seit sechs Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten. Gould antwortete Monsaingeon mit einem langen Brief und einer Einladung nach Kanada. Bei ihrem ersten Treffen stellte sich heraus, dass der Pianist eine ähnliche Philosophie wie Monsaingeon hatte. Auch er wollte Musik anders kommunizieren, als sie in Konzerten zu spielen. Sie einigten sich auf die Produktion eines Films. Am Ende drehten sie gemeinsam sieben Stück. Nach Goulds Tod 1982 machte Monsaingeon noch drei weitere Dokumentationen über den Pianisten, die letzte 2006.
Seine eigene Art
Wenn man seine preisgekrönten Dokumentationen ansieht, glaubt man gar nicht, dass Monsaingeon das Filmemachen niemals studiert hat. "Ich habe mir alles selbst beigebracht. Wenn ich heute auf meine ganz alten Filme zurückblicke, fallen mir natürlich Sachen auf, die ich heute nicht mehr so machen würde. Aber dadurch habe ich meine eigene Art entwickelt, Filme zu gestalten", sagt Monsaingeon. Den Geiger David Oistrach hat er zum Beispiel auf Russisch interviewt. "Ich habe ihn das erste Mal im Konzert erlebt, als ich zehn Jahre alt war. Seitdem wollte ich ihn persönlich treffen", erinnert er sich. "Aber ich wollte Oistrach genau verstehen, also habe ich Russisch gelernt. Was zu dieser Zeit in Frankreich gar nicht einfach war."
Später führte er das wahrscheinlich einzige lange Interview, das der ukrainische Pianist Sviatoslav Richter jemals gegeben hat. Auf alle Fälle war es sein letztes ("The Enigma" / "Der Unbeugsame", 1998). "Richter hat vor meiner Kamera quasi sein ganzes Leben ausgebreitet." Hinterher machte dem Sprachtalent Monsaingeon – er spricht neben Französisch auch Englisch, Deutsch, Russisch und Italienisch – die deutsche Fassung des Films große Sorgen. "Stellen Sie sich einmal vor, der Verleih wollte Richters Stimme synchronisieren lassen!" Anfangs war Monsaingeon von dem Gedanken total entsetzt. "Doch dann fanden wir in dem wunderbaren Sänger Dietrich Fischer-Dieskau einen einfühlsamen und passenden Sprecher."
Selbst dieses Detail war dem akribisch arbeitenden Monsaingeon wichtig. "Das Drehen dauert meist nur ein paar Wochen. Aber die Nacharbeiten liebe ich und verschiebe das Ende immer wieder" gibt er zu. "Bei dem Film über Richter hat allein der Schnitt zwölf Monate gedauert, jeden Tag viele Stunden." Aber auch die Vorbereitungen gestaltet er immer sehr sorgfältig. "Bei meinem ersten Film über Piotr Anderszewski waren es sechs Jahre. Glenn Gould und ich haben einige Programme zehn Jahre lang geplant. Und bei Menuhin haben 25 Jahre meines Lebens auf die rund 15 Filme hingeführt, die wir zusammen gedreht haben."
Das Wichtigste ist ihm, die Musiker als Menschen zu zeigen. Bruno Monsaingeon hat Murray Perahia, Gennadi Roschdestwenski, Michael Tilson Thomas, Friedrich Gulda, Julia Varady und viele andere porträtiert. Dabei nimmt er keine Aufträge an, obwohl er häufig Angebote bekommt. Er erhält auch keine öffentliche Förderung. "Die Quelle für jeden neuen Film ist bei mir das persönliche Gefühl im Herzen, das ich auf die Leinwand übertragen will", sagt Monsaingeon.
Daher entwickelt er auch immer wieder eigene Formen der Gestaltung. In der ersten DVD zum Beispiel, die jemals über Grigory Sokolov gedreht wurde ("Live in Paris"), tritt der Pianist aus dem Dunkel auf die Bühne, setzt sich ans Klavier, spielt Stücke von Beethoven, Prokofiev, Chopin und andere und geht wieder ab. So hält Sokolov es bei all seinen Konzerten. "Und nur so hat er es für die DVD genehmigt", sagt Monsaingeon. Er hat den Mitschnitt des Konzerts auch in einer einzigen Einstellung gelassen. "Ich hatte zwar ausreichend Aufnahmen aus ganz verschiedenen Blickwinkeln. Aber jeder Schnitt muss einen Grund haben. Deshalb entschied ich mich für nur einen einzigen Schnitt", erklärt er.
Bruno Monsaingeon hat für seine Filme schon viele Preise erhalten. Aber das schönste Kompliment kam von einem jungen Drogerieverkäufer, der ihn einmal ansprach: "Ich habe gestern Ihren Film über einen russischen Musiker gesehen, der hat mich sehr bewegt. Schade, dass der nur auf ARTE lief und nicht auf einem der Fernsehkanäle, die von vielen Menschen verfolgt werden."
(Von Wieland Aschinger)
Link:
➜ http://www.brunomonsaingeon.com
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