Sacre du Printemps – Frühling im Herbst

24. Mai 2013 - 08:06 Uhr

Sonntag, 26. Mai 2013 / 17:35 – 18:30 Uhr
ARTE

Dokumentation (Frankreich 2012, Erstausstrahlung) Die Uraufführung von "Le Sacre du Printemps" im Théâtre des Champs-Elysées Paris erschütterte am 29. Mai 1913 wie einst die "Schlacht um Hernani". Igor Strawinskys und Vaslav Nijinskys Ballett brach mit allen Konventionen von Musik und Tanz des frühen 20. Jahrhunderts. Damals spaltete der Skandal das Publikum in Bewahrer der Tradition und Verfechter der Moderne.

Frühling im Herbst

In den folgenden 100 Jahren haben Nijinskys Originalchoreographie und die Musik von Strawinsky immer wieder Künstler zu neuen Fassungen des Balletts inspiriert. Maurice Béjart, Martha Graham, Pina Bausch, Glen Tetley und viele andere setzten sich mit dem mythischen Stoff auseinander.

Die Dokumentation von Denis Sneguirev beobachtet den Choreographen Thierry Thieû Niang bei der Erarbeitung seiner modernen Fassung dieses Balletts. Die 25 Teilnehmer seines Workshops sind Amateurtänzer. Sie sind alle zwischen 60 und 80 Jahre alt und haben mit der Welt des Tanzes eigentlich nichts zu tun. Dennoch bringen sie sich voll und ganz in das Projekt ein.

Die von Thieû Niang gewählte choreographische Notation basiert auf einem Kreis: Von Anfang bis Ende des Stücks umkreisen die Tänzer die Bühne. Daniel, ein drahtiger Senior um die 70, dreht sich gegen den Uhrzeigersinn, er verkörpert Chronos, die verrinnende Zeit. Anders als im Original-Libretto, das Nijinsky als Vorlage diente, ist die Auserwählte in Thieû Niangs Fassung nicht jene, die dem Frühlingsgott geopfert wird, sondern jene, die bleibt und überlebt, gestärkt durch die Energie ihrer Gefährten, die die Bühne im Verlaufe des Balletts einer nach dem anderen verlassen, so dass sie schließlich allein weiterläuft, nicht gegen die Zeit, sondern mit ihr.

Als Thierry Thieû Niang mit seinem Workshop begann, hatte er keine öffentliche Aufführung des Stücks im Sinn. Dennoch wurde die Choreographie im Jahr 2011 beim Theaterfestival von Avignon uraufgeführt und vor kurzem auch im Pariser Théâtre de la Ville erfolgreich auf die Bühne gebracht.

Der Film enthält Interviews mit dem Choreographen und seinen Interpreten. Sie zeigt die Senioren im Alltag und fragt auch nach ihren ganz persönlichen Vorstellungen und Wünschen. Dabei wird deutlich, dass sie bei dieser Tanzerfahrung unendlich viel über sich und ihr Leben gelernt haben. Der Film dokumentiert eine sehr zeitgenössische Form der Auseinandersetzung mit dem "Sacre"-Mythos, nicht als Lektion in Sachen Tanz, sondern als einen Weg, Menschlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

(pt/wa)

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